Delegation aus Budapest zu Gesprächen in Finnland und Schweden

Nach Ansicht von Vertretern der ungarischen Regierungsparteien muss die Haltung der beiden skandinavischen Länder gegenüber Ungarn geklärt werden, bevor das Parlament in Budapest ihrem Nato-Beitrittsbegehren zustimmt.

Ein linksorientierter Kommentator beklagt dagegen den Verlust von Ungarns „letztem Freund“: Finnland.
Parlamentspräsident László Kövér (Fidesz) hat im Fernsehsender Hír TV erklärt, er habe eine je aus zwei Abgeordneten des ungarischen und des Europäischen Parlaments bestehende Delegation nach Finnland und Schweden entsandt, um die Haltung dieser beiden Länder gegenüber Ungarn zu klären. Deren Repräsentanten hätten Ungarn schwere Verletzungen beigebracht und die Einbehaltung von EU-Geldern gefordert, was der hiesigen Bevölkerung sowohl moralischen als auch materiellen Schaden zugefügt habe. Unter diesen Umständen halte er die Entsendung einer Abordnung für geboten, um die Dinge klarzustellen, bevor das Parlament über ihren Nato-Beitritt abstimme.

Miklós Hargitai wirft der Regierung vor, sie zerstöre die seit 250 Jahren bestehende besondere Freundschaft zwischen Ungarn und Finnland. Ein ungarischer Wissenschaftler habe Ende des 18. Jahrhunderts die strukturelle Ähnlichkeit der beiden Sprachen nachgewiesen. Seitdem seien die Finnen den Ungarn gegenüber immer aufgeschlossener geworden, schreibt der Kolumnist der Tageszeitung Népszava. Gegenwärtig, so Hargitai weiter, verfüge Ungarn über keine internationalen Freunde mehr – wobei sich sogar Polen wegen der Differenzen über den Krieg in der Ukraine abwende. Die Finnen seien die letzten Freunde Ungarns in der Welt gewesen. Die Regierung habe dieses 250 Jahre alte Erbe verspielt, urteilt Hargitai.

Ungarns Konflikte mit seinen westlichen Verbündeten im Spiegel der Wochenpresse
Die Meinungen über die richtige beziehungsweise falsche Politik der ungarischen Regierung gehen naturgemäß auseinander. Jedoch sind sich die Kommentatoren einig, dass die Spannungen zwischen Budapest und seinen Partnern im westlichen Bündnis zunehmen.

In Magyar Hang wirft Szabolcs Szerető der Regierung vor, ihre eigenen Versprechungen gegenüber der Europäischen Union „auf spektakuläre Weise zu ignorieren“. Dabei verweist der Autor auf das Anfang letzter Woche im Hau-Ruck-Verfahren verabschiedete neue Gesetz über die Ärztekammer (siehe BudaPost vom 1. März). Während der Gespräche mit der Europäischen Kommission zur Frage der Rechtsstaatskonditionalität habe die Regierung zugesagt, Gesetzgebungsprozesse im Eilverfahren auf ein absolutes Minimum zu beschränken. In diesem Fall jedoch sei das Gesetz zur Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft von Ärzten in der Kammer innerhalb von 24 Stunden nach Vorlage des entsprechenden Entwurfs verabschiedet worden. Im Gegensatz dazu, fügt Szerető hinzu, werde die Entscheidung über die Nato-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens um weitere zwei Wochen vertagt (siehe BudaPost vom 4. März).

In einem von drei Leitartikeln vergleicht die aktuelle Ausgabe des Wochenmagazins Magyar Narancs das Vorgehen der Regierung gegen die Ärztekammer mit den Praktiken des „düstersten kommunistischen Zeitalters“. Die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer sei abgeschafft worden, nachdem die Organisation ihrer Mitglieder dazu aufgerufen habe, das vom Ministerium eingeführte neue Bereitschaftsdienstsystem zu torpedieren. Eine weitere Mitgliedschaft in der Kammer, so Magyar Narancs, käme einer Demonstration der Feindseligkeit gegenüber der Regierung gleich und würde viele im öffentlichen Gesundheitswesen arbeitenden Ärzte abschrecken.

Heti Világgazdaság veröffentlicht ein Interview mit Anna Lührmann vom Auswärtigen Amt in Berlin. Die Staatsministerin für europäische Angelegenheiten und Klima erklärt gegenüber dem liberalen Wochenjournal, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn derzeit angespannt seien, weil Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit und der außenpolitischen Linie Ungarn innerhalb der Europäischen Union isoliert hätten. Den langwierigen Prozess der Ratifizierung der Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands bezeichnet die Staatsministerin als „ein schlechtes Zeichen“.

In Jelen befasst sich Tamás Fóti mit dem zunehmenden Unbehagen der EU-Mitgliedstaaten angesichts der Zurückhaltung Ungarns bei der Verhängung von Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Krieges. Im jüngsten Fall habe Ungarn versucht, vier russische Personen von der 11. Sanktionsliste zu streichen. Fóti geht davon aus, dass es sich dabei um führende Vertreter religiöser Gemeinschaften handele. (Nachdem der Europäische Rat die Sanktionen gebilligt hatte, setzte der Kreml die Visafreiheit für ungarische Diplomaten aus – Anm. d. Red.) Der liberale Kommentator berichtet, dass verärgerte EU-Politiker vorgeschlagen hätten, die Sanktionen gegen Russland einmal im Jahr statt alle sechs Monate zu erneuern, um die ständigen Diskussionen mit Ungarn zu vermeiden. Als Kompromiss würden die Sanktionen wohl letztendlich alle neun Monate erneuert werden müssen, vermutet Fóti.

In seinem Mandiner-Leitartikel weist Mátyás Kohán den Vorwurf zurück, die ungarische Regierung stelle sich mit ihrer Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine an die Seite Russlands. Ungarn habe diese Forderung erstmals bereits während des russischen Vormarsches erhoben und die Kriegsparteien stets zur Beendigung der Kämpfe aufgefordert – ganz unabhängig davon, wer gerade vorrücke und wer sich zurückziehe. Kohán ist der Ansicht, dass nach einem Waffenstillstand international überwachte Referenden in den umstrittenen Gebieten abgehalten werden sollten, um über den Verlauf der Grenze zwischen den beiden Ländern zu entscheiden. Er bezeichnet eine solche Haltung als eindeutig pro-ukrainisch, da vor allem die ukrainische Bevölkerung unter den Folgen des Krieges leide.

Gábor Bencsik verurteilt die russische Aggression gegen die Ukraine, ist aber der Auffassung, dass führende westliche Politiker es versäumt hätten, „mit dem Kopf der Russen zu denken“. Westliche Intellektuelle, die der Chefredakteur des Wochenmagazins Demokrata für äußerst einflussreich bei den politischen Entscheidungsträgern hält, hätten wissen müssen, wie die russische Reaktion auf das zunehmende Engagement der Ukraine für ein Bündnis mit dem Westen ausfallen würde.

Folglich hätte ein für alle Parteien akzeptabler Kompromiss gefunden werden müssen. Jetzt werde sich der Krieg so lange hinziehen, bis eine der Parteien erschöpft sei – und den Preis dafür würden nicht die führenden westlichen Intellektuellen zahlen, unterstreicht Bencsik.

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